Mein Name ist Lisa
Aktualisiert: 21. Juli 2022
Als die Jüngste von drei erblickte ich, ohne dass es ein Mensch bemerkte, die Welt. Nach der Geburt glitt ich durch die Gitterstäbe des Ziegengeheges auf den kalten Stallboden. Ich befand mich in einer dunklen und unheimlichen Umgebung. So lag ich da, hungernd und zitternd, zu schwach, um überhaupt zu schreien. In dieser Lage fand mich die Bäuerin. Sie hob mich hoch und brachte mich zu den Meinen.
Schon von Anfang an war ich die kleinste, wenn ich beabsichtigte zu trinken, kamen meine Geschwister und schupsten mich weg. So bekam ich zwar etwas Milch, doch nicht genug, um meinen Magen zu füllen. Bald sah man den Unterschied, ich war mager, meine Geschwister aber nahmen zu und wuchsen zu lebenslustigen Zicklein heran.
Eines Sonntags stellten sich die Kinder des Bauers bei uns ein, sie sahen, dass meine Mutter mich jetzt plötzlich verstieß und mich nicht trinken lassen wollte. Die Mädchen setzten mich anderen Ziegenmüttern an, ich trank gierig, doch sobald die jeweilige Ziege bemerkte, dass ich nicht ihr Geißlein war, boxte sie mich fort.
So verging die Zeit, eines Morgens kam Christian, der der uns immer füttert, mit einer Flasche. Er versuchte mir so Milch zu geben, doch das funktionierte überhaupt nicht. Der Schnuller der Flasche war zu hart für mich. Am Nachmittag des gleichen Tages kamen sie wieder, dieses Mal der kleine Bruder von ihm und seine Schwester. Ich ruhte, die Beine von mit gestreckt, im Stroh. Was die Kinder sehr erschreckte und sie ahnen ließ, dass ich schon tot sei. Als sie aber merkten, dass ich noch am Leben bin, massierten sie mich und versuchten mir etwas Milch einzuflößen. Ich trank höchsten zwei bis drei Schlucke. Das Mädchen wollte mich am liebsten mit nach Hause nehmen, doch der Bruder riet es ihr ab. Da kam die Bäuerin und nahm die Kinder mit zur Schule. Es wurde Abend. Wieder kamen sie mit Milch, doch ich war noch elender, sie entschieden mich in ihr Haus zu bringen, denn sie sagten sich, dass ich höchstwahrscheinlich nicht überleben würde.
Zuerst konnte ich nur von einer Spritze trinken , doch dann nahmen meine Kräfte zu und ich trank schon bald direkt von der Flasche. Die Kinder pflegten mich sehr gut. Nun bin ich schon über einen Monat alt und bin lustig und munter wie die anderen, nur etwas kleiner, aber das macht nichts, denn die Flücks-Kinder finden kleine Zicklein viel süsser als grosse.
Text von: Johanna Flück
Beim Betrachten der Bilder erkennt man die grossen Fortschritte, die Lisa gemacht hat.